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Anna Nina Schär: «Jedes Mädchen kann Schiri werden»

Beitragsinformationen

Veröffentlicht
16.6.2024
von
Louise Chanton
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Anna Schär hat eine Karriere als Spielerin, Trainerin und Schiedsrichterin hinter sich. Heute ist sie Leiterin der Schiedsrichterinnen beim Fussballverband Region Zürich. Ein Gespräch über die grosse Liebe zum Fussball, den Weg zur Schiedsrichterin sowie über die Sonnen- und Schattenseiten des Referee-Jobs.

Anna Nina Schär, wie bist du mit dem Fussball-Virus infiziert worden?

Vor meiner Schule gab es ein grosses Fussballfeld, dort haben wir immer gespielt. Meine Mutter wollte mich bei einem Fussballclub anmelden. Doch in den 1990er-Jahren gab es nur wenige Mädchen-Teams. Sie musste mich jeweils einige Kilometer fahren, um spielen zu können. Kurz nach meinem Einstieg konnte ich dann zu den Juniorinnen des FC Wiesendangen wechseln. Das war näher und ich bin dort noch heute Mitglied. Fussball war damals mein Lebensmittelpunkt. Ich hätte nie ein Training ausgelassen. 

Das klingt sehr engagiert…

Ja, ich war richtig besessen von Fussball. Aufgrund des Wetters wurden Fussballspiele schneller abgesagt als heute, da es noch fast keine Kunstrasen gab. Für mich war das schlimm. Wenn es geregnet hat, sass ich am Samstag immer vor dem Telefon in der Hoffnung, dass das Spiel nicht abgesagt wird.

Du warst nicht nur eine engagierte Spielerin, sondern auch schon früh als Trainerin tätig.

Ja, mit 17, 18, als ich noch aktiv gespielt habe, startete ich die Ausbildung zur Kindertrainerin (KIBU). Ich habe die B-Juniorinnen trainiert. Damals waren Mädchen zwischen zehn und sechszehn Jahren im gleichen Team.

Anna Schär im Einsatz als Schiri (ganz links)

Wie bist du Schiedsrichterin geworden?

Ich wurde von Bekim Zogai, der an der EURO 24 als Schiri-Assistent dabei ist, angesprochen. Er war beim FC Wiesendangen seit ein paar Jahren Schiedsrichter. Ich habe nicht lange überlegt und mich für den Grundkurs angemeldet. Samstags habe ich Matches gepfiffen, sonntags selbst gespielt und unter der Woche trainiert. Als Trainerin musste ich in dieser Zeit leider wieder aufhören. Fussball hat meine ganze Woche ausgefüllt. Doch ich habe es sehr gerne gemacht. Es war mir nie zu viel. 

Hast du gewusst, worauf du dich einlässt?

Ich bin Schiri geworden, weil ich im Verein gebraucht wurde. Ich war mir zuerst unsicher, ob es das Richtige für mich ist. Ich war vom Typ her eher zurückhaltend und hatte kein ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Kommt hinzu, dass ich nie gut mit Kritik umgehen konnte. Das ist aber eine Eigenschaft, die es als Referee braucht.

Trotzdem hast du weitergemacht. Warum?

Der Job als Schiri ist eine Lebensschule. Zu Beginn war ich vor jedem Spiel extrem nervös. Doch bald habe ich gemerkt, wie viel ich auf dem Spielfeld bewirken kann und wie stark man wahrgenommen wird – gerade als Frau. 

«Ein Schiri will nie im Zentrum stehen – als Frau bist du es trotzdem immer.»

Anna Nina Schär

Wie ist es, im Zentrum zu stehen?

Ein Schiri will nie im Zentrum stehen – als Frau bist du es trotzdem immer. Vor allem bei den D-Junioren und generell in den unteren Ligen ist es oft so, dass du es als Frau nur doppelt so gut oder doppelt so schlecht machen kannst. Es gibt wenig Raum in der Mitte. Hast du ein gutes Spiel gepfiffen, bekommst du viele Komplimente. Hast du hingegen mal eine Fehlentscheidung getroffen, liegt es daran, dass du eine Frau bist. Mich hat diese Tatsache immer angespornt, mich zu verbessern.

In der Region Zürich gibt es immer mehr Schiedsrichterinnen, einige pfeifen schon seit über 30 Jahren. Trotzdem ist es die Ausnahme, wenn ein Spiel von einer Frau geleitet wird. 

Ja, Schiedsrichterinnen sind heute noch exotisch, was aber auch Vorteile hat. Gerade weil es so wenige Frauen gibt, kann man eine steile Karriere machen. Für junge Frauen kann das eine spannende Herausforderung sein. Sie haben die Chance, sich im Eiltempo zu etablieren – auch international. Für Männer ist der Weg zum Schiri strenger, die Konkurrenz viel grösser.

«Sie haben die Chance, sich im Eiltempo zu etablieren – auch international.»

Anna Nina Schär

Hast du dich in der Ausbildung entscheiden müssen, ob du Frauen- oder Männerspiele leiten willst?

Für Frauen sind beide Wege offen, man pfeift parallel. In der Regel beginnen alle Referees bei den Juniorinnen und Junioren. Ab einem gewissen Niveau bekommen Frauen schneller die Möglichkeit, bei den Frauen Nati-A zu pfeifen oder sie können die FIFA-Referees an internationale Spiele begleiten. 

«Schiri werden – und von einer internationalen Karriere träumen». Mit diesem Slogan könnte man also Frauen motivieren, Schiri zu werden?

Absolut. Wir haben in der Region eine Schiedsrichterin, die erst 2020 den Grundkurs absolviert hat, aber heute schon regelmässig international unterwegs und Spiele pfeift. Ein weiterer Vorteil: Als Schiedsrichterin verdienst du schon bei deinem ersten Einsatz ein Sackgeld – und treibst dabei gratis Sport. Eigentlich ein Luxus.

«Als Schiedsrichterin verdienst du schon bei deinem ersten Einsatz ein Sackgeld – und treibst dabei gratis Sport.»

Anna Nina Schär

Wie viel verdient ein Schiri?

In den unteren Ligen verdient man zwischen 100 und 150 Franken pro Match. Ein Referee in der 2. Liga interregional bekommt 320 Franken pro Spiel. Das mag bescheiden sein für die Anzahl Stunden, die man für das Training, die Fahrt zum Spiel und die Spielleitung aufwendet. Doch mir hat es gereicht, um mir als Studentin den Ausgang zu finanzieren.

Wie flexibel muss man als Referee sein?

Du hast keine fixen Trainingszeiten unter der Woche. Einzig das Spiel am Wochenende ist fix. Ich habe während meiner Aktivkarriere als Schiri zwei Kinder bekommen. Ein halbes Jahr nach der Geburt habe ich jeweils wieder angefangen zu pfeifen. Auch Désirée Grundbacher, die bereits in der Super League gepfiffen hat, hat zwei Kinder. 

Gibt es ein ideales Alter für den Einstieg?

Nein. Es kommt auf die Ambitionen an. Wenn du mit 40 Jahren einsteigst, hast du ein flexibles und cooles Hobby, bei dem du ein wenig Geld nebenbei verdienen kannst – und als positiven Nebeneffekt Sport treibst. Bei einem so späten Einstieg wirst du aber keine Profi-Schiedsrichterin. Ich habe mit 20 angefangen, das finde ich ein gutes Alter. Es gibt aber auch schon 16-Jährige, die das sehr souverän machen.

Welche Eigenschaften sollte eine Schiedsrichterin mitbringen?

Jede Frau kann Schiedsrichterin werden. Man wächst in die Aufgabe hinein. Das Schöne und Spannende an diesem Job ist, dass du viel profitierst und immer dazulernst. Auch über dich selbst.

«Jede Frau kann Schiedsrichterin werden.»

Anna Nina Schär

 Wie streng ist die Ausbildung?

Der Grundkurs zur Schiedsrichterin findet an einem Wochenende statt. Dabei trifft man sich mit anderen Referees, um die Regeln zu vertiefen. Die Teilnehmenden bereiten sich dafür zuhause online vor. Mir hat bei der Ausbildung vor allem der Austausch mit den anderen Schiris gefallen. Ich bin noch heute mit Referees befreundet, mit denen ich den Grundkurs vor 18 Jahren absolvierte. Zum Abschluss muss man einen Regeltest bestehen und zwei Kilometer in zwölf Minuten laufen.

Man hört immer wieder von Angriffen auf Schiris, auch in den unteren Ligen. Brauchen Schiris ein dickes Fell?

Es gab noch keinen Moment in meiner Karriere, in dem ich Angst hatte. Während dem Match ist man so konzentriert, dass man viele Kommentare gar nicht hört. Spürbar ist, wenn die Stimmung anfängt zu kippen. Das kann dann schon mal einen Adrenalin-Schub auslösen. Doch auch damit lernt man umzugehen.

 Ist Referee nicht ein einsamer Job?

Zu Beginn ist es eine Einzelsportart, die Spass macht, aber auch leistungsbezogen ist. Man wird von einem Götti begleitet und Coaches bewerten deine Spiele. Gute Bewertungen bedeuten einen Aufstieg in eine obere Liga. So wird man immer gepusht weiterzukommen und sich stets zu verbessern. Ab der 4. Liga kann man sich zur Assistentin ausbilden lassen. Im Trio ist man in wechselnden Teams unterwegs. Der Zusammenhalt ist gross und es macht Spass gemeinsam die Herausforderungen der Spiele zu meistern. Es gibt auch regelmässige Anlässe und Weiterbildungen, bei welchen man mit den Gleichgesinnten ins Gespräch kommt.

Vor zwei Jahren hast du – eigentlich noch jung – als Schiri aufgehört. Warum?

Ich wollte mehr Zeit in die Funktion als Frauenverantwortliche der Abteilung Schiris investieren. Diese Funktion macht viel Spass und ich spüre, dass ich etwas bewegen kann. Zeitlich hat es aber nirgends mehr gereicht – und so habe ich mich entschieden aufzuhören als Schiri. 

Welche Ziele hast du in deiner Funktion als Mitglied der Abteilung Schiris im Bereich Frauenförderung?

Aktuell sind wir 29 Schiedsrichterinnen in der Region Zürich. Das Ziel ist klar: Wir möchten in der Region Zürich die Anzahl weiblichen Schiris verdoppeln. Dafür möchten wir die Energie der UEFA Women’s EURO nutzen – und unser Engagement für mehr Frauen erhöhen. Geplant sind verschiedene frauenspezifische Angebote, die wir offensiv kommunizieren werden.

In knapp einem Jahr finden in Zürich und in der Schweiz die Europameisterschaften statt. Was sind deine Erwartungen an diesen Grossanlass?

Ich freue mich schon wahnsinnig darauf. Es ist so toll, dass auf den Schulhöfen, bei der Arbeit und im Ausgang ganz selbstverständlich über Frauenfussball gesprochen wird. Ich kann mich erinnern, dass ich mit 10 oder 11 Jahren Profifussballerin werden wollte. Mein grosser Traum war es, dass an Europa- und Weltmeisterschaften auch gemischte Teams auflaufen dürfen. Es war für mich damals unvorstellbar, dass ein Frauenteam an einem internationalen Turnier mitspielen würde. Umso wichtiger ist es, dass wir den Frauenfussball unterstützen – im und neben dem Stadion.

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